Der fünfte Tag, 22.05.07: Ruhetag in Istanbul
Mit Kopfschmerztabletten fängt der Ruhetag an. Der Abend vorher und die zum Teil recht lange Nacht, haben dem einen oder anderen aus dem Team ein bisschen zugesetzt. Noch weniger Schlaf als an Fahrtagen bekommt man nur an Rallye-Ruhetagen! Wir treffen uns gegen 10.00 Uhr zum Frühstück und besprechen unser Tagesprogramm. Das besteht eigentlich nur aus einem Ziel: Istanbul sehen. Im Gegensatz zu 99 % der anderen Teams fahren wir nicht mit einem Linienbus ins Zentrum, sondern mit den eigenen Autos. Der Highway vor dem Hotel führt geradewegs nach Istanbul – nicht weiter schwierig. Schwierig wird es dann doch, weil wir einen perfekten Plan ausgeheckt haben. In Istanbul wartet morgen am sechsten Tag die einzige Sonderprüfung auf uns, die bereits vor Rallyeantritt bekannt gegeben wurde. Sie lautet: Fahrt mit den Autos zur Blauen Moschee, stellt euch davor auf, lasst euch fotografieren. Das Gemeine, aber recht durchdachte, an unserem Plan ist: Wir finden die Blaue Moschee bereits heute – dann sind wir morgen schneller am Ziel. Sich genauere Ortskenntnisse anzueignen, ist schließlich nicht verboten. Soweit Teil 1 des Plans. Teil 2 sah vor, dass wir auch das Foto bereits einen Tag vorab knipsen – die vom Organisationskomitee gestellte Einwegkamera wird wohl kaum ein Datum in jedes Bild stempeln, oder?
Wenige Kilometer nach unserem Fahrtantritt wurde uns verdammt schnell klar, wie wichtig und richtig der Plan war. Die Blaue Moschee war zwar hin und wieder ausgeschildert – aber an entscheidenden Stellen wie Kreuzungen, Kreiseln oder Abzweigungen fehlten nähere Angaben. So gaben alle gefundenen Hinweistafeln nur stets eine grobe Richtung vor, trotzdem näherten wir uns der Sache allmählich. Da, wo der Verkehr am dichtesten war und wo immer mehr Touristen auftauchten, musste schließlich das Zentrum sein. Genau! 3 bis 4 Mal anhalten und fragen – und dann stehen wir direkt vor der Blauen Moschee. Was kaum zu glauben war – es herrschte zwar absolutes Halteverbot, aber Stellplätze waren genügend vorhanden. Wir hatten uns anfangs die Blaue Moschee eigentlich imposanter vorgestellt, mit anderen Worten: es war von dem Gebäude nichts zu sehen. Aber ein Gebäudeschild verriet eindeutig, das wir die Rückseite der Blauen Moschee gefunden hatten. Wir waren äußerst sicher, dass die Rallyeleitung unsere Spitzfindigkeit mit Extrapunkten belohnen würde, andererseits waren wir auf spätere Diskussionen mit dem Preisgericht gefasst, falls wir die Kameltrophäe verpassen würden. „Na dann müsst ihr aber das Roadbook exakter beschreiben.“ „Es war nie die Rede davon, von welcher Seite die Moschee fotografiert werden sollte“. Wir machten übrigens Unmengen sehr schöner Bilder.
Zu den Autos vor dem Hintereingang stellte sich auch bald der eine oder andere türkische Ladenbesitzer, der dachte durch etwas Völkerverständigung ein paar hässliche Souvenirs an uns loswerden zu können.
Nachdem die Bilder im Kasten waren, machten wir neue, eigene – nicht für die Rennleitung, sondern fürs Familienalbum. Wir besichtigten die Blaue Moschee und die gegenüberliegende Hagia Sophia von außen und von innen.
Ich speziell freute mich, dass mein Presseausweis mir auch alle orientalischen Türen kostenlos öffnete. Super!
Aber der Höhepunkt des Tages folgte erst noch. Die beste Entscheidung seid langem haben Albert und ich einvernehmlich getroffen – wir lassen uns eine türkische Rasur verpassen.
Den Herren unter den Mitlesern sei gesagt: das müsst ihr machen! Absolut genial! Eine Prozedur, die aus mehreren Schritten besteht: erst wurde das Gesicht mit einem Heißwasserdampfgerät behandelt, damit sich die Poren schön öffnen. Mit einer Creme wurde die vermutlich noch geschmeidiger gemacht. Erst dann kam der Rasierschaum, der unendlich lange mit dem Rasierpinsel im Gesicht zu immer feinerem Schaum geschlagen und gerieben wurde. Die Rasur mit der messerscharfen Klinge war eine erstaunliche Wohltat - kein Kratzen oder Schaben zu spüren. Dafür zog und zerrte der Rasiermeister so geschickt an der Gesichthaut, dass sie sich - quadratmillimeterweise gestrafft - dem Messer von selbst entgegenstürzte. Das Ganze übrigens zweimal. Wenn ich daran denke, aus wie vielen Richtungen meine Problemzone (die Kinnpartie ist gemeint!) rasiert wurde, bewundere ich erneut die Hingabe und Präzisionsarbeit, die sich in meinem Gesicht abspielte. Das Bewundernswerteste überhaupt aber kam erst noch. Das Abfackeln der Ohrhaare mit einem Wegwerffeuerzeug: ein banales Gerät, das sich an jeder Supermarktkasse oder Tankstelle findet, wurde so geschickt zu einem Flammenwerfer umfunktioniert, der inner- und außerohrs so ziemlich alles versengte, was wuchern wollte. Probier ich daheim auch mal! Albert hatte weniger Glück. Er hatte einen übel gelaunten Rasiermeister erwischt, der die feurige Nummer ebenso wegließ wie den Anfang mit dem Dampfsprühgerät. Und überhaupt agierte der so schnell, dass er gleich noch Helmut rasierte. (Eine Rasur von Aui war übrigens ausgeschlossen, da es in der Türkei verboten ist, Männern mit Restalkohol den Bart wegzunehmen. Alter Brauch.) Reingefallen bin ich bei dem Barbier übrigens auch. Auf einen äußerst wohlbeleibten, sehr orientalisch wirkenden Mann, der neben mir auf seine Rasur wartete – und wie ich einen Tee aus diesen komischen kleinen Gläsern serviert bekam. Das war die Gelegenheit zuzusehen, wie man mit so einem Gläschen etikettegerecht umgeht! Das vollendete türkische Zeremoniell sah demnach so aus: Man fasst das siedendheiße Gläschen nicht direkt an, sondern führt es auf der kleinen Untertasse stehend an den Mund, spitzt die Lippen und kippt dann das ganze Ensemble ein bisschen, um den brühendheißen Tee schlückchenweise einzusaugen. Beinah hätte ich es dem Kerl nachgemacht. Da stoppte mich ein fröhlich hingeworfenes akzentfreies „Cheers“ – der Mann war Amerikaner.
Das schönste Bild des Tages schossen wir nach dem Abendessen – als es zu dämmern anfing und die Blaue Moschee, von Scheinwerfern angeleuchtet, schimmerte wie eine Illustration aus einem arabischen Märchenbuch. Das schönste und vorletzte Bild für heute!
Das definitiv letzte Bild machten wir dann, als Albert unter unserem Carlos Santana lag und den Schaden am Stoßdämpfer rechts hinten inspizierte.
Was war passiert? Mit etwa 100 Stundenkilometern waren wir in der Dunkelheit in zwei kurz hintereinander liegende Schlaglöcher gerast – dann war die Dämpfung dahin, das Federbein aus seiner Fixierung gerissen, das Öl des Stoßdämpfers auf den Asphalt getropft. Bis wir auf dem Hotelparkplatz eintrafen, mussten wir von der Fahrbahn also allerhand harte Schläge einstecken. Den Rest gaben uns dann die gespielte Anteilnahme der anderen Teams und deren schlaue Ratschläge. Sagen wir es doch mal ehrlich: die freuten sich klammheimlich! Endlich ein Schaden! So ziemlich alle Teilnehmer der Ralyle Allgäu-Orient 2007 ließen ihre Biere in der Hotelbar stehen, rannten ihre Kameras holen und wurden zu Papparazzis. Schämt euch. Unseren Santana in seiner schwersten Stunde einfach als Urlaubserinnerung zu knipsen. Geht lieber schlafen, heute war und ist noch ein bissel Ruhetag!
2 Kommentare:
Hallo Bernd,
geiles Foto von Albert!
Ich hab Albert noch nie so ratlos gesehen wie auf diesem Foto!
War doch gut dass wir alle im Hintergrund gute Ratschläge für ihn hatten! ;-)))
Ist doch immer gut wenn man gute Freunde hat! Oder was meinst Du Albert? :-)
Gruß Helmut
Da hast du recht Helmut. Besnonders die ganz schlauen vom Wettbewerb :-) Überigens war Carlos auch ein Radlos!!!
Gruss Albert
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