Sonntag, 17. Juni 2007

Der siebte Tag, 24.05.07: Von Göreme nach Aleppo, Teil 1





Wir stehen noch vor sechs Uhr auf, Katja und ich. Das ist hart. Aber wir wollen das Tal von Göreme sehen und wir wollen das Morgenlicht nutzen, um Fotos zu schießen. Wenn man das Fairy Chimney Inn verlässt, kann man einen schmalen Pfad durch eine kniehohe Wiese gehen und zwischen den Tuffkegeln herumlaufen. Das Fairy Chimney Inn selbst steht – wie schon erwähnt – am höchsten Punkt des Ortes. Ist leicht zu finden, da auf der Hügelspitze oberhalb des Hauses eine Mobilfunkantenne zu sehen ist. Der Pfad ist aber schlecht zu laufen. Vor allem, wenn man schlaftrunken ist, mit Flip Flops geht und nicht auf den Weg achtet, weil man Fotomotive sucht. Also kehren wir um, gehen erst ein paar Schritte in die Ortschaft zurück und dann durch ein kleines Tor dem Weg nach, wieder nach oben, wo eine schmale Straße ein paar Kurven macht und dann immer höher auf den Hügel führt. Das ist zwar seltsamerweise nicht der Hügel mit der Antenne, aber hier gibt es so viele Hügel und so viele Aussichtspunkte. Die Landschaft ist unglaublich, bizarr, in ihrer verrückten Einzigartigkeit sieht sie aus, als hätte sie jemand für einen Disney Film gezeichnet. Dass die Natur das entstehen ließ, kommt einem unglaublich vor. Viele dieser Hügel weisen kleine Luft- oder Sehschlitze auf – aber eine Art Hauseingang sucht man oft vergebens. Das lässt darauf schließen, dass ein Höhensystem vorhanden ist und man irgendwo einen Eingang findet, der es ermöglicht, in den Feenkaminen herumzulaufen. Bereits um 7.00 Uhr wird es unglaublich heiß und das gute Licht ist dahin, die Sonne leuchtet alles aus als sei es bereits mittags. Wir laufen schwitzend zwischen den Höhlenhäusern herum und entdecken ein leeres Gebäude. Anstelle von Fenstern, wie viele der luxussanierten Höhlenwohnungen, hat es offene Löcher. Im Erdgeschoss ist es dunkel und leer, eine aus dem Stein geschlagene Treppe führt hoch. Ich weiß nicht, was wir erwartet haben. Jedenfalls niemand, der schlafend auf dem Boden liegt und plötzlich aufschreckt als Katja vor ihm steht. Rückzug! Sofort. Da ist uns so peinlich, das wir vergessen Bilder zu machen. Ob es ein Rucksacktourist war oder ein umherstreunender Obdachloser oder gar ein Einheimischer – keine Ahnung. Als wir das Gebäude von außen nochmals ansehen merken wir, dass dieses Schafzimmer der einzige Raum war, der mit einer Plastikplane zugehangen war. Ist uns vorher nicht aufgefallen. Im Fairy Chimney Inn gibt es einen wunderbaren Sitzplatz, direkt auf einer Felskante, er ist mit einem schmalen Mäuerchen eingefasst, das gerade mal hoch genug ist, um die Rückenkissen daran zu stellen. Man liegt und döst und blickt auf die Ortschaft Göreme hinunter. Die ist rund um das Fairy Chimney Inn ruhig und wie verlassen, unten gibt es Rucksacktouristen, Geldautomaten und hässliche Souvenirshops. Oben, im Inn ist es ruhig, verwinkelt mit unzähligen Lieblingsplätzen ausgestattet, wo man sich einfach nur hinsetzt und guckt!
Der heutige Tagesplan: unklar. Bis zur syrischen Grenze ist es nicht mehr allzu weit. Das bedeutet, wir haben Zeit. Zumindest Zeit für eine Sehenswürdigkeit. Die enge Wahl zwischen dem Freiluftmuseum Göreme und eine Besichtigung der unterirdischen Stadt Derinkuyu geht zu Gunsten Derinkuyus aus. Es ist die größte bisher freigelegte unterirdische Stadt in Kappadokien und sie wurde erst 1963 entdeckt. Derinkuyu hat eine Fläche von 1.500 m², es soll aber nur ein Viertel der Gesamtanlage sein. Wow! Die Stadt geht 11 Stockwerke tief in den Erdboden. Die einzelnen Stockwerke konnten abgeriegelt werden und die Stadt war über kilometerlange Gänge mit anderen solchen Städten verbunden. Offenbar waren diese unterirdischen Anlagen nicht permanent bewohnt, sondern dienten als Rückzugsorte in Kriegs- oder Krisenzeiten. Man schätzt, dass Derinkuyu 30.000 bis 50.000 Menschen Zuflucht gewähren konnte. Platzangst darf man in Derinkuyu nicht haben, denn die meisten der Gänge sind für Mitteleuropäer über 170 cm Körpergröße nicht mehr aufrecht zu durchlaufen. In den Geschoßen selbst kann man sich dann wieder ausstrecken, aber der Weg dorthin geht meist nur in gebückter Haltung. Die Gänge sind außerdem so schmal, dass man mit ein paar Kilo Übergewicht leicht stecken bleiben könnte. Eine Situation, die ich leicht nachempfinden konnte – zwar ohne Übergewicht, aber mit Rucksack, der sich etliche Schleif- und Schabspuren holte. Aber die Luft ist kühl und frisch. Das ausgeklügelte Luftschaftsystem bewältigt auch den Ansturm Hunderter von Besucher gleichzeitig, die versuchen in den Höhlengängen auszuweichen, den Kopf nicht anzustoßen oder voranzukommen.



Auf dem Parkplatz vor der Höhlenstadt verkaufen etliche Frauen selbstgemachte Puppen für etwa einen Euro das Stück. Sie werden mit rüden Methoden von einem Parkplatzwächter vertrieben, der schreit, nach ihnen schlägt und spuckt. Und hier, direkt neben der Hauptattraktion Derinkuyu, befindet sich eine wunderschöne bestens erhaltene armenische Kirche – fest verschlossen.




Die Frauen machen uns auf eine Besonderheit an der Kirchenfassade aufmerksam: zwei drehbare runde Pfeiler – vielleicht Tora Rollen nachempfunden? Überhaupt, man entdeckt in dieser Gegend einen Mischmasch von Symbolen, die wir islamischer, christlicher und jüdischer Symbolik zuordnen können – was vielleicht daher rührt, dass Kirchen im Laufe der Zeit verschiedensten Religionen dienten. Oder die Menschen in früheren Jahrhunderten nicht immer einer reinen Lehre anhingen, und sich Glaubensinhalte und Symbole vermischten. Was ich weniger glaube ist, dass Derinkuyu erbaut wurde, weil sich die Menschen vor außerirdischen fliegenden Wesen schützen wollten – diese Meinung vertritt der bestens bekannte Bestsellerautor und flunkernde Schweizer Erich von Däniken.
On the road again. Auf einer Anhöhe, gleich hinter der Ortschaft Göreme entdecken wir das erste Kamel auf dieser Reise. Das arme Tier ist hier zwar weit entfernt von seinen wild lebenden Wüstengenossen, für touristische Fotos und Reitzwecke abgestellt, aber hee: das ist doch ein gutes Omen. Wem ein Kamel erscheint, der kann es auch gewinnen, oder?
Für mich und die anderen bedeutet das offenbar einen gewaltigen Motivationsschub, denn wir rasen voran, weiter mit unbekanntem Tagesziel, aber auf alle Fälle so weit wie möglich. Wenn da nicht die Organisatoren wieder eine verflixte Tagesaufgabe eingebaut hätten. Und die ist gar nicht so ohne. Zwingt sie uns doch, eines aufzubringen, was wir während der Fahrt gar nicht haben: Ruhe und Zeit. Besucht ein Hamam oder eine der heißen Quellen und badet dort drin. Als Beweis – ein Foto schießen. Natürlich. Die heißen Quellen von Ciftehan liegen direkt auf dem Weg, gegen Mittag sind wir dort. Nicht das einzige Team – ein paar sind schon drin, wie die Fahrzeuge auf dem Parkplatz verraten, ein paar kamen später noch. Aufgrund von Sprachkenntnissen – äh, von mangelnden Sprachkenntnissen – glauben wir zwar erfahren zu haben, dass es getrennte Eingänge für Männer und Frauen gibt. Letztendlich landen wir aber im selben Gebäude. Ein zahnloser Bademeister empfängt uns. Es geht in ein heruntergekommenes Gebäude, das einer DDR-Turnhalle ähnelt und der Service dürfte ganz ähnlich sein. In einer mittelgroßen Halle bleiben wir stehen, hier sollen sich die Männer ausziehen. Für Petra und Katja gibt es einen Extraraum, mit einer nicht verschließbaren Tür. Selbstverständlich muss der muslimische Bademeister ständig gucken gehen, ob den Frauen beim Umkleiden nichts zugestoßen ist. Jedenfalls linst er hauptsächlich durch den weit geöffneten Türspalt, wo sich unverschleierte Damen bis auf die Haut entblättern.
Ins heiße Bad selbst geht es dann aber wieder mit Badebekleidung. Ein Berg aus Puschen – hölzerne Badelatschen – ist in der Ecke aufgestellt oder zusammengeworfen. Die Aufgabe des netten Bademeisters lautet nun: finde zwei möglichst passende Latschen und laufe mit denen über das aalglatte Treppenhaus durch die nassen Baderäume. Ohne dir den Hals zu brechen! Das ist um einiges schwerer als die üblichen Rallyeaufgaben. Warum man die Badelatschen denn anziehen soll, frage ich ihn. Aus Sicherheitsgründen, weil es so rutschig ist, meint er, zahnlos lächelnd.
Wohin mit den Wertsachen, den Kameras usw.? Petra nimmt ihre Handtasche mit. Die ist gut verschließbar, super. Hoffentlich hält sie auch heißen aggressiven Quellendampf ab. Bereits im Vorraum, in dem wir ein bisschen abgegossen werden, ist es wie in einer Schwitzkammer. Im eigentlichen Bad, einem rechteckigen, sehr hässlichen Raum der fast nur aus dem Wasserbecken besteht, ist es dagegen heiß und unerträglich feucht. So feucht, dass sich die Bilder der Beweiskamera vermutlich selbst entwickeln. Vielleicht glaubt jetzt niemand wie heiß es ist – es ist krebsheiß. Also so heiß, wie das Wasser, in dem Taschenkrebse und Langusten mit einem Schlag rot und nachher als gekochte Delikatesse verzehrt werden. Sind das 60 Grad? Oder mehr? Oder reichen bereits 50 Grad aus, um den Köper in derartigen Hitzestress zu versetzen? Keine Ahnung. In dem Wasser schwimmen einige Türken herum – ich selbst habe bereits unterhalb der Knie zurückgezogen. Albert ist der Mutigste! Er lässt sich erklären, dass man langsam eintauchen soll und tut das dann auch! Super! Hat jemand ein Bild davon? Unser Beweisbild zeigt uns am Beckenrand sitzend und müsste eigentlich zur Disqualifizierung führen. Denn drei der sechs Teammitglieder haben nicht mal die Zehen ins heiße Wasserbad eingetaucht. Die Türken machen jetzt noch allerhand Späße mit uns. So müssen wir aus einem 3-Liter-Eimer unbedingt von dem heißen Wasser probieren. Es schmeckt widerlich, aber wir sind ja höflich: „Danke, gut.“ Als Belohnung kippt einer der Türken Helmut einen ganzen Eimer der kochenden Brühe über den Kopf. Der schreit, dass es fast die Kacheln aus der Wand haut, lebt aber. Unser Navigator!
Zeit abzuhauen. Hier stinkt es uns nicht nur ganz gewaltig, sondern hier stinkt es tatsächlich. Wer Dorfkneipen nach der Bierschwemme kennt, weiß, so riecht es, wenn Hunderte Männer über Stunden in eine ganz bestimmte Ecke gepinkelt haben. Andere meinen in dem Pissegeruch Schwefel oder andere heilende Bestandteile entdeckt zu haben. Na ja. Glauben versetzt ja bekanntlich Dämpfe oder so ähnlich. Nie mehr! Nie mehr werde ich ein türkisches heißes Bad betreten.

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