Samstag, 16. Juni 2007

Der sechste Tag, 23.05.07: Von Istanbul nach Göreme

Heute gefahren: 810 km (lt. Reglement waren heute bis 888 Tageskilometer erlaubt)

Puuh, das war eine unruhige Nacht. Zu groß die Ungewissheit, wann und ob wir unseren Carlos heute wieder fitkriegen würden. Etwa 2 Kilometer vom Hotel entfernt gab es eine VW Werkstatt – sicher keine Vertragswerkstatt, aber doch mit ausreichend VW Logos bestückt, so dass wir eine gewisse Spezialisierung auf unsern 25 Jahre alten Autotyp erwarten durften. Außerdem, am Vortag waren in dieser Werkstatt bereits zwei andere Rallyeautos gewesen. Alle kamen hochzufrieden und vor allem heil (die Autos!) wieder zurück. Öffnungszeit der Werkstatt: 8.00 Uhr. Wir waren gegen 7.00 Uhr beim Frühstück und 9.30 Uhr war der Le Mans Start vor dem Hotel angesetzt. Wenn wir also rechtzeitig repariert wären, würden wir das Ganze vielleicht noch schaffen. Albert und Petra begleiteten uns, Aui und Helmut schlafen noch in dieser schweren Stunde. Für heute war Aufgabenteilung angesagt: Aui und Helmut sollen am Le Mans Start teilnehmen. Petra und Katja von der Highway-Brücke Fotos der vorbeirasenden Rallyefahrzeuge schießen. Albert und ich: Tee trinken.
Nee wirklich. Das war so. Als wir um 8.00 Uhr bei der Werkstatt vorfuhren, war die noch geschlossen. Auch 20 oder 30 Minuten später noch. Aber direkt nebenan war eine Reifenwerkstatt bereits offen und der freundliche Monteur wollte sich den Schaden mal ansehen. Beim Ansehen blieb es auch – der kaputte Stoßdämpfer fiel eindeutig nicht mehr ins Reifenservice- und Reifenwechselressort. Damit wir nicht allzu enttäuscht waren, gab es Tee. Wunderbar frisch aufgebrühten Tee, den wir aus den kleinen Gläschen direkt von der Motorhaube tranken.



Sehr hilfsbereit der Reifenwechsler! Auch, dass er den Inhaber der Werkstatt mehrfach auf dem Handy anrief, um ihm klarzumachen, dass Kundschaft auf ihn wartete – sehr nett. Leider wirkte es gar nicht. Die Minuten verrannen, später dann auch eine Stunde und dann schickte der Werkstattmeister seinen Lehrling voraus, der schon mal das Garagentor öffnete und uns Tee kochte. Ja so nett sind sie, die Türken. Abwarten und Tee trinken – das Sprichwort kann nur von Istanbul aus in die Welt gefunden haben.



Inzwischen war es auch 9.30 Uhr – die Mädels schossen ihre Bilder vom rasenden Rallyetross, Helmut und Aui stießen kurz nach dem Start zu uns. Endlich passierte was. Der Werkstattchef war aufgetaucht – baute den defekten Stoßdämpfer aus und stellte dann fest – wie alle Werkstattinhaber eigentlich – dass er das Ersatzteil nicht auf Lager hatte. Ja klar, wie denn auch? Wer hat denn schon ein komplettes Ersatzteilsortiment für 25 Jahre alte Fahrzeuge am Lager liegen? Noch dazu, wenn es sich um Flops der Automobilgeschichte von VW handelt?



Aber er hatte was anderes: ein Federbein (Federbeinchen) eines Opel Vectra. Vermutlich gebraucht, aber immerhin mit gewissen Teile-Nummern-Aufklebern versehen. Das war insofern passend, da es in etwa die gleiche Länge hatte. Was nicht passte, war der Befestigungsring, der den Stoßdämpfer an der Karosserie fixieren sollte. Mit ein paar Hammerschlägen wurde der in die passende Position gebracht! Geht scho! Und dann in irgendeiner Nachbachwerkstatt festgeschweißt. Passt! Die Probefahrt war eine Wonne – kein Schlagen, kein Hüpfen mehr, jetzt schluckte das fremde (Opel-)Federbeinchen so ziemlich alles, was es vom türkischen Straßengrund reingewürgt bekam.
Übrigens in Deutschland wäre ich bestimmt blass geworden, wenn ich die Höhe der Rechnung erfahren hätte. Hier ging es mir super! 30 Euro für Ersatzteil, Arbeitszeit und ein paar Teegläser vorneweg! Da kannste nicht meckern. Eine Umarmung des KFZ-Meisters konnte ich mir gerade noch verkneifen. Dafür gab ich ihm 35 Euro.
Danach ging es verdammt schnell zurück auf die Straße. Wir hatten jede Menge Zeit verloren. Und die wollten wir jetzt aufholen – regelwidrig, aber schnell! Wir entschieden einvernehmlich, dass eine Bosporusüberquerung mit der Fähre für uns nicht in Frage kommt. Wir verzichteten auf diesen vorgegebenen Teil der Strecke und die dafür in Aussicht gestellten Wertungspunkte. Stattdessen rasten wir über den Highway in Richtung Ankara – über die große mehrspurige Bosporusbrücke, die man im Schritttempo überfährt. Na klar werden die Fahrer hier langsam, die müssen alle den Moment genießen, wenn Sie von Europa nach Asien kommen. Asien – wir sind da!
Auf der gut ausgebauten Autobahn ging es dann verdammt schnell nach Ankara, um Ankara herum und auf sanft ansteigenden Straßen zwischen grünen und manchmal noch ein bisschen schneebedeckten Bergen weiter. Richtig sauber und fast ein bisschen deutsch sah die Türkei hier aus. Das machte das viele Grün und die adretten Wohnsiedlungen – wie ein Neubauviertel von Wolferstadt oder Weingarten, mit schmucken Reihen- und Einfamilienhäuschen.
Dass die Türken die Deutschen des Orients seien – kein so abwegiger Gedanke, finde ich.
Ok, nennen wir es noch mal deutlich: Wir sind regelwidrig Autobahn gefahren. Deshalb war nach Ankara damit Schluss. Die letzten 300 Kilometer nach Göreme wollten wir wieder wie ganz brave Rallyeteilnehmer auf der Landstraße zurücklegen. Also runter von der Autobahn, aber immer schön auf dem Gas bleiben. Für mich war Göreme eines der Highlights der Reise überhaupt. Man kennt das ja aus dem Fernsehen – die kappadokische Landschaft mit den seltsamen Steingebilden, Feenkaminen und den Bergen, die scheinbar völlig aus- und unterhöhlt sind, weil in ihnen seit ca. 2000 Jahren Menschen leben. In einer dieser Höhlenwohnungen würden wir heute Abend selbst übernachten. Der deutsche Archäologe Dr. Andus Emge und seine türkische Frau Gülcan hatten sich bereit erklärt, uns in ihrer tollen Ferienpension zu Rallyepreisen übernachten zu lassen. Das war ein Termin, den wir unbedingt erreichen mussten. Ich weiß nicht wie ich es sagen soll – aber nach 5 Rallyetagen war Carlos super eingefahren und ich scheinbar auch. Die nächsten paar Stunden gelang es mir das Team Wolfsrudel mit der 86 PS-Maschine anzuführen – ich glaube die PS-Protze hinter mir hatten hin und wieder sogar Mühe zu folgen. Vor allem dann, wenn es mit 130 durch Ortschaften ging oder mit 100 km/h an Tempo-30-Schildern vorbei. Bevor ihr denkt, ich hätte die Pistensau rausgelassen: ich habe mich lediglich für einen Tag lang den türkischen Autofahrern angepasst. In meinem Istanbul Reiseführer hieß es: türkische Autofahrer halten sich kaum an Straßenvorschriften. Nie habe ich mich den türkischen Autofahrern näher gefühlt, als an diesem Tag.
Gegen 20.30 Uhr kamen wir dort an. Was soll ich sagen!? Eine echte Traumlandschaft und ein wunderschönes Ferienhaus das Fairy Chimney. Das Anwesen, welches früher einmal als Kelterei eines frühbyzantinischen Klosters diente, wurde über mehrere Jahre hinweg einfach aber sorgfältig saniert. Es verfügt über 8 kleine und fein eingerichtete Zimmer mit einer Terrasse und Badezimmer und war von gutgelaunten Pärchen bevölkert.
Ausgebucht sozusagen. Die wunderbare Terrasse bot einen herrlichen Blick auf Göreme. Fairy Chimney Inn ist der absolute Tipp für diese Gegend – es liegt am höchsten Punkt des Ortes. Die liebenswerte Gastgeberin Gülcan Yücedogan-Emge servierte uns ein köstliches Essen – unter anderem eine Joghurtsuppe, von der ich Nachschlag verlangte, weil sie so gut war. Sie nennt sich Corba und geht so:
Butter und Olivenöl in der Pfanne anschwitzen, etwas Suppenpulver und getrocknete Minze dazu und ebenfalls mit anbraten. Danach den großen Topf mit heißem Wasser aufgießen, ein wenig Reis dazugeben, und dann ein paar Löffel Joghurt unterrühren, aufkochen lassen, fertig.
Sehr lecker! Dazu ein kappadokischer Rotwein – wir schliefen wunderbar!

Sehr interessant waren dann unsere Tisch-Mitgenossen – das deutsche Pärchen Alexander und Daniela, die einen höchst individuellen Urlaub in der Gegend verbrachten. Das nicht ganz ungefährliche und spannende Hobby der beiden – armenische Kirchen aufspüren. Jedenfalls die restlichen Exemplare, die nicht der geplanten Zerstörung zum Opfer fielen.

Links:

Fairy Chimney Inn

Armenische Kirchen in der Osttürkei
http://www.virtualani.org/citymap.htm
http://www.westernarmenia.net

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Bernd,

hast die Situation richtig erkannt als Du folgendes geschrieben hast!

"Helmut und Aui stießen kurz nach dem Start zu uns. Endlich passierte was."

Vielen Dank für das versteckte Lob!
Aber Aui und ich wissen eben immer wenn wir am notwendigsten gebraucht werden!

Gruß Helmut

Bernd hat gesagt…

Also jetzt merk ich es auch. Lob wem Lob gebührt!