Der neunte Tag, 26.05.07: Von Damaskus nach Al-Azrak
Heute gefahren 360 km
Heute werden wir die syrisch-jordanische Grenze überqueren und das eigentliche Ziel der Rallye erreichen: Jordanien. Wir werden in die Wüste fahren, Kamele streicheln und in Oasen campen. Denken wir jedenfalls.
Hochmotiviert geht’s ab in den Frühstücksaal, wo uns ein einfaches Frühstück erwartet: Schwarze Oliven, Fladenbrot, ein Ei, Gurke und Marmelade. Wir sind schließlich in einem christlichen Gästehaus und in keinem Luxushotel! Chaddah hat versprochen uns noch aus der Stadt zu geleiten – damit wir den Weg zur Schnellstraße Richtung Jordanien auch finden. Er kommt wieder pünktlich und hat Abschiedsgeschenke dabei – für jedes Paar ein kleines Fläschchen Arrak. Für mich ein großes. Ich hatte mich bereits am Vorabend als Arrak Fan geoutet! Und irgendwie ist das wohl der Dank, dass Katja und ich ihm einen alten deutschen Bierkrug und etliche geschmuggelte Dosen Weißbier zur Begrüßung überreicht haben. Dabei hatte gestern jeder schon ein Tuch als Geschenk erhalten – als Sonnenschutz für die Wüstentage. Es ist halt schwer, syrische Gastfreundschaft zu toppen. Den ganzen gestrigen Tag bestand er darauf sämtliche Rechnungen zu bezahlen. Sogar die Ansichtspostkarten, die wir kauften, konnten wir nicht selbst bezahlen. Zumindest am Abend wollten wir die Rechnung für das Gelage übernehmen – was er uns schließlich nach langem Zögern erlaubte. Aber die Summe war mit 60 Dollar so lächerlich niedrig, dass auch da was nicht stimmen konnte. Vielleicht bezahlten wir nur das Trinkgeld?
Noch ein letztes Mal in Syrien tanken – 40 Cent – wer weiß, ob wir es noch mal so billig bekommen, Alberts ADAC-Reiseführer glaubt es jedenfalls nicht. Im Wahnsinnsgewimmel an den Zapfstationen fängt sich der Audi noch eine kleine Beule ein. Ein Syrer hatte unachtsam zurückgesetzt. Na und? Das ist schließlich ein Rallyeauto!
Am Highway gibt es noch ein paar Einkaufsmöglichkeiten. Wir brauchen Wasser, ganz viel Wasser. Ein bisschen Obst und Brot. Der Laden ist von verblüffendem Chic. Eine Riesenauswahl an Essbarem, offen oder appetitlich verpackt, gleich im Eingangsbereich fällt der Blick auf einen Brotpaternoster hinter der ersten Verkaufstheke. Dort fahren richtige Brote – keine Fladen – zu Werbezwecken an der Wand auf und unsichtbar wieder ab. Wir stopfen uns in dieser syrischen Raststätte, die einem Gourmet-Tempel ähnelt, die Taschen voll, erwerben zwei Sorten heißer Minipizzen und seltsam aussehendes Gebäck, das beim Hineinbeißen staubt. Dann geht’s ab. Raus aus der Stadt durch eine karge Landschaft mit diesen oder jenen Plantagen. Kleine Bewässerungsgräben halten das Ganze am Wachsen. Manchmal dienen diese auch als Badestellen – die Wasserrinnen, die im Schatten liegen, sind bevölkert – vor allem Familien genießen hier den Feiertag. Verhüllte Frauen waten im Wasser, kleine Kinder tollen nackt darin herum.
Und jetzt zur jordanischen Grenze. Wer da eine Grenzprozedur à la Syrien erwartet, muss sich wundern. Mehr als ein „Welcome“ ist auf der jordanischen Seite nicht drin! Wir werden vom ersten Posten durchgewunken und zum großen Parkplatz des Rallyetrosses geschickt. Alle Prozeduren finden jetzt unsichtbar statt. Was erforderlich ist, um nach Jordanien einzureisen, nimmt uns die Organisation ab. Wir plaudern mit anderen Teams, tauschen ein paar Jordanische Dollars – liebevoll Jedis genannt – und erhalten einen sorgfältig ausgearbeiteten Straßenplan, der so aussieht. (bild folgt)
Darin sind die Aufgaben des heutigen Tages versteckt. Die Käserei finden und durch die Wüste ins Camp fahren. Dann überqueren wir die Grenze auf der Diplomatenspur, vorbei an einem Autofriedhof. Vom Oldtimer bis zur jüngsten Luxuskarosse ist alles dabei – ein Mix aus Fahrzeugen, die offenbar den erforderliche Einfuhrzoll nicht bezahlt haben. Als Rallyeteilnehmer bleibt uns dies erspart – Gerüchten zufolge beträgt der Einfuhrzoll mehrere tausend Dollar. Dafür würden wir uns von Carlos jederzeit trennen. Aber bezahlen müssen wir auch – kurz nach der Grenze erwarten uns die jordanischen Sponsoren und bekleben die Autos wie wild und völlig planlos. Die kunstvoll geplante Harmonie ist damit zerstört.
Um 14.15 Uhr finden wir die Käserei oder das, was sie mal werden soll. Ehrlich, wir sind erschüttert wie wenig in einem Jahr hier passiert ist, gerade mal ein paar Grundmauern sind hochgezogen, ein kleines einstöckiges Gebäude (sieht mehr nach einem Geräteschuppen aus) steht da und ein paar Handwerker agieren wie Statisten in einem Entwicklungshilfe-Schauspiel, dessen Regieanweisung offenbar lautet: für den Staatsbesuch Geschäftigkeit vortäuschen. Die Faktoren Zeit und Geld lassen uns zweifeln. Zeit. In einem Jahr muss selbst mit einem Bautrupp von 2 Leuten mehr zu schaffen sein. Für 40.000 Euro sollte man mehr als die paar Steine bekommen. Ob die Spendengeldern hier richtig eingesetzt sind, vollständig angekommen oder die Leute überhaupt motiviert sind Käse herzustellen – es sieht jedenfalls recht zweifelhaft aus. Überhaupt: das mit der Milchbeschaffung haben wir nicht so recht kapiert. Große Schafherden haben wir nicht gesehen und Kühe dürften sie in der Steinwüste kaum satt bekommen. Wir schießen die Erinnerungsfotos und brechen zur spannendsten Aufgabe der ganzen Rallye auf. Den Weg in die Wüste. Rund 60 km dürfen wir nun dirt road fahren – vorausgesetzt wir finden sie. Ein Indiz, dass wir richtig sind, liegt am Weg: Das Wüstenschloss El Jamal. Der Eingang zur Wüste ist leicht zu finden – ein Geländewagen der Highway Patrol fährt vorneweg. Aber offenbar kennen die sich an einigen Stellen auch nicht so recht aus. Wir fahren zwar schon längst auf der Dreckpiste aber offenbar nicht auf der richtigen. Erst bleiben die Polizisten stehen, um ein paar Beduinen zu fragen – dann geht es wieder ein Stück zurück. Irgendwann winken sie uns ab – hier lang. Und wir fahren allein los. Aber irgendwas kann nicht stimmen. Der Weg geht weder in die Wüste noch zu dem Wüstenschloss. Über 2 Stunden irren wir herum auf Teerstraßen durch ein paar Dörfer. An einigen Kreuzungen stehen Wegweiser der Rallyeleitung. Als wir diese zum zweiten Mal passieren, wissen wir nicht nur dass wir falsch sind. Wir wissen auch, dass wir diesen Wegweisern nicht trauen können. Denn jetzt weisen die Pfeile in eine andere Richtung. Es bringt auch nichts nach dem Weg zu fragen. Die einen schicken uns da lang die anderen dort. Wenigstens finden wir das Wüstenschloss El Jamal was eine Höchstleistung ist. Weil es nichts von einem Schloss hat, sondern eher von einem Steinhaufen, der am Ackerrand aufgeschichtet wurde. Und dann, wie durch ein Wunder, finden wir den richtigen Weg. Oder wenigsten einen Weg in die Wüste. Erst ist die Piste steinig und dann kommt feiner Sand. Nicht weich, sondern fest. Auf einer Breite von mehreren hundert Metern kann man nun nebeneinander fahren und lange Staubwolken hinter sich herziehen. Wir machen Fotos, wir rasen hinter den Staubwolken des Vordermannes im Blindflug hinterher. Wir versuchen zu driften und schleudern die Autos um die eigene Achse im Sand! Alles Show für die Kamera!
Bisher haben wir nur einen Menschen hier getroffen. Ein Beduine, der offenbar eine Wasserpumpstation bewacht, aus der es etwas tröpfelt und den Boden ein bisschen schlammig macht. Wir haben ihm eine Mütze geschenkt, die er anstatt seines Tuches aufsetzt. Wir haben ein bisschen geplaudert – mit den Händen. Und wir haben leider seine Einladung im original Beduinenzelt Tee zu trinken ausgeschlagen. Doof von uns!
Jetzt treffen wir hier noch mal Menschen. Hey, was sind das für coole Typen?! In der Ferne sehen wir einen Traktor, der wie ein Ochse mit Rinderwahnsinn im Kreis fährt. Offenbar hat der genauso Spaß am Spielen wie wir. Als wir näher kommen hat er den Tank leergefahren. Da Helmut unbedingt in der Wüste Traktor fahren will, versuchen wir das Ding flott zu bekommen. Geht nicht. Dann wollen wir es anschleppen. Geht ebenfalls nicht. Gegen den Traktor hat der Opel Frontera vielleicht ne Chance. Nicht aber das Abschleppseil, das reißt wie ein Bindfaden.
Schade. Aber Hilfe ist längst unterwegs. Auch die Beduinen haben Handys, die neuesten Modelle.
Ein paar Kilometer später werden wir bitter enttäuscht. Am Horizont eine gewaltige Staubfahne – der Rallyetross. Offenbar ging es den anderen ähnlich wie uns, sie haben den Weg in die Wüste nicht gefunden, worauf die Rallyeleitung entschied im Konvoi durch die Wüste zu fahren. Wir schließen uns hinten an. Das bedeutet: anstatt mit 80 – 100 Sachen durch die Gegend zu brettern, zuckeln wir nun mit Tempo 40 in einer Kolonne, vor uns der Krankenwagen des Würzburger Teams. Einen Ausbruchversuch wagen wir noch. Wir heizen an allen anderen vorbei, lassen die unseren Staub schlucken, überholen auch das Polizeifahrzeug an der Spitze – und haben dann nach einem Kilometer eine Reifenpanne. Weil wir den andern nicht die Freude gönnen wollen, uns mit der Panne zu sehen, täuschen wir einen Fotostopp vor. Alle winken und hupen. Wir winken und knipsen. Als sie vorbei sind, beginnt der Reifenwechsel. Eine Holzdiele aus Wolferstadt war dabei unverzichtbar.
Erneut schließen wir uns dem Konvoi an und kommen im Schritttempo fahrend gegen Abend im Camp Al Azrak an. Die Bilanz des Wüstenausfluges: mehrere aufgerissene Ölwannen und sogar ein aufgeschlitzter Benzintank, etliche Reifenschäden, Kühlerprobleme. Einer hat das einzige Schlammloch in der Wüste übersehen, er kommt hüfthoch verdreckt zum Abendessen. Drei Autos hängen klinisch tot am Abschlepphaken. Was mehrere tausend Straßenkilometer nicht geschafft haben, kam nach nur wenigen Wüstenkilometern in Gang. Die Selektion der härtesten Teams und besten Fahrzeuge hatte begonnen.